Phoolan Devi

Comic Review

von Lea

Über Phoolan Devis Leben – das einer Rechtlosen, einer Rächerin, Bandenchefin, die ins Gefängnis und schließlich als Abgeordnete ins indische Parlament kommt –  gibt es einen Spielfilm, einen Dokumentarfilm und einige Biografien. Außerdem erschien im Mai 2020 bei bahoe books eine Graphic Novel. Eine Lebensgeschichte, so spannend wie erschütternd. Die wahre Geschichte einer Frau, die sich ihr Schicksal nicht ausgesucht hat, aber den Willen besaß, ihm eine Wendung zu geben. 

Anfang und Ende des Comics ist, wie eine Klammer, das Ende ihrer Haftzeit 1994 – Phoolan Devi war elf Jahre ohne Gerichtsverfahren im Gefängnis. Dort lernen wir Devi kennen, die endlich freigelassen werden soll, „nach allem was ich durchgemacht habe“, sagt sie auf einer der ersten Seiten. In einer Rückblende folgt dann die Hauptgeschichte, wie sie aufwuchs, was ihr widerfuhr sie und zu dem machte, was sie wurde. Wer war diese Aufsehen erregende Persönlichkeit, die infolge mühsamer von Präsidentin Indira Gandhi betriebenen Verhandlungen 1983 vor mehr als 10.000 Menschen ihre Waffen niederlegte und sich stellte?

Phoolan ist am Tag des Blumenfestes geboren, daher der Name – „Phoolan“ heißt „Blume“. Sie ist die zweitälteste Tochter einer Familie, die der niedrigsten Kaste angehört, das sind Bauern und Diener.  Früh macht sie ihre Beobachtungen und eigene Erfahrungen mit Ungerechtigkeit, einerseits verankert im indischen Kastensystem, aber da ist eben noch mehr: 

„Hier ist es noch schlimmer eine Frau zu sein, als unberührbar. Wir existieren nur durch unsere Brüder, Väter, Onkel oder Ehemänner. Dieser Unterschied ist stets fühlbar. Ich sehe ihn in den Augen der anderen Kinder. Die Blicke der jungen Männer sind arrogant, herausfordernd. Die der Mädchen sind stets beunruhigt und misstrauisch.“ (S. 15)

Was Phoolan auszeichnet, ist, dass sie grundsätzlich nicht einfach hinnimmt, dass andere über sie verfügen dürfen, allein weil sie in eine Kaste hinein geboren ist und aufgrund ihres Geschlechts. Warum soll ihr Leben nichts wert sein, eine Bürde für die Eltern, warum soll sie Angehörigen höherer Kasten  dienen, oder Männern, als Spielzeug, Ehefrau und Sklavin? 

Sie rebelliert und das ist eine Selbstermächtigung und natürlich Zeugnis einer Schieflage, die das überhaupt erforderlich macht. Und das in aller Deutlichkeit zu zeigen, in teils schonungslosen Bildern und in Farbe, ist ein Verdienst dieses Comics. Fauvel erfasst die Grausamkeit, wahrt allerdings stets den Respekt vor den Figuren. Sie zeigt Devis harten, weil ungleichen Kampf. Gegen das verbreitete, resignierte „Das ist nun einmal so“ und gegen etliche übermächtige Gegner. So zum Beispiel den Jahrzehnte älteren Ehemann, an den sie als elfjährige verschachert wird, und der sie, statt wie versprochen zu „warten“, vergewaltigt, worauf sie flieht, zurück zu ihrer Familie, die bei allem Leid immer zu ihr hält. Doch sie ist „entehrt“ und damit Freiwild. Wer sie aber als Hure sieht und behandelt, der kassiert einen Schlag ins Gesicht. Das ist mutig aber riskant, doch Phoolan hat nichts zu verlieren. In ihr brennt ein Feuer der Wut. Kein Wunder. Sie will Rache. 

Phoolan Devi gerät – zunächst ungewollt – in die Hände von Banditen, wird bald aber gleichberechtigtes Bandenmitglied:

„Ich bin nun 17 Jahre alt. Meine Sprache hat sich verändert. Meine Gesten ebenfalls. Meine Hände sind es nicht mehr gewohnt, Chapatis zu backen, sie putzen jetzt ein Gewehr.“ (S. 104)

Später befehligt sie ihre eigene Bande, macht Schlagzeilen, hat aber den Rückhalt der (armen) Bevölkerung.

Devis Werdegang ist kein Einzelfall, sondern Teil einer historischen Tradition, die mit der Region verknüpft ist, in der sie groß wird: Das Chambal Tal im Norden Indiens, geprägt von Schluchten, die Gesetzlosen gute Verstecke bieten. Das indische Banditentum jener Region richtete seine Rachefeldzüge gegen die Ausbeutung der Armen durch Angehörige höherer Kasten und konnte in der nationalen Randlage, von einem Dreiländer-Eck profitieren, das es leicht macht, sich der rechtlichen Verfolgung zu entziehen.

Banditentum ist überaus spannender Stoff, ganz allgemein. Im Falle Devis kommt der Kampf gegen patriarchale Herrschaftsstrukturen hinzu, das streicht die Autorin auch durchaus heraus, so wie sie Devis Geschichte als die einer Überlebenden, einer Kämpferin die am Ende nicht weiterleben und weiterkämpfen durfte, erzählt. Deshalb würde ich den Comic in jedem Fall ein feministisches Buch nennen. In einem solchen wird Phoolan

Devi einigen Leser*innen möglicherweise bereits begegnet sein: Im zweiten Band „Unerschrocken“ von Penélope Bagieu, 2018 in deutsch erschienen bei Reprodukt, eine Anthologie über das Leben bedeutender Frauen in Kurzfassung. Dass sich die Langversion von Claire Fauvel diese  außergewöhnliche, ja schwer zu verkraftende und ungemein spannende Lebensgeschichte auf 225 Seiten entfaltet, ist nur gut.

Das Buch ist allerdings harter Tobak. Mir hat es bei der Lektüre manchmal die Kehle zugeschnürt angesichts der Abbildung von so viel Zwang, Gewalt und Aussichtlosigkeit, die Phoolans Realität prägen. Dennoch, der Comic enthält auch etwas Banditenromantik, auch ein bisschen, sagen wir „Lovestory“ der traumatisierten Protagonistin … und eine nachdenklich stimmenden Botschaft über die Fragilität des Lebens – berührend, z.B. wenn Phoolan es kaum fassen kann, dass ein Mann sie nicht verletzt sondern beschützt, dass sie von den Männern der Bande, die sie befehligt, voll und ganz respektiert wird und dass sie der Bevölkerung zur Heldin geworden ist. Ungeschönt erzählt wird auch von den Konsequenzen ihrer spektakulären Taten und umstrittenen Aktionen – etwa als Verantwortliche an einem Massaker. Es wird nicht behauptet, Devi sein ein guter Mensch.  Auch hier beschönigt Fauvel nicht. Insgesamt tritt die Autorin nicht als streng objektive Biografin auf, sie beabsichtigt nicht, sich zwischen Realität und Mythos zu entscheiden.  Was den Text angeht, stützt sie sich auf die von Devi selbst herausgegebene Biografie, die es in etliche Sprachen übersetzt gibt. 

Was den Zeichenstil angeht: Fauvel beherrscht es, Stimmungen wiederzugeben, seien es Licht- und Wetterverhältnisse oder die Gefühle der Figuren, die Hintergründe sind detailreich, doch man muss sich vielleicht ein bisschen an die Augen der Figuren gewöhnen, die oft längliche, aufrecht stehende Pupillen haben und damit etwas katzenartig wirken.

Claire Fauvel widmet sich übrigens auch in ihrem folgenden Buch,„La guerre de Catherine“,  wieder einer ungewöhnlichen Frau. Mit dieser Graphic Novel  gewann sie den diesjährigen „Prix de Jeunesse“ in Angoulême. Auch sie wird bei bahoe books erscheinen.

In meinen Augen ist „Phoolan Devi“ ein wichtiges Buch zu Ereignissen einer gerade mal zwei Dekaden zurückliegenden Vergangenheit, das Verhältnisse schildert, die leider weiter existieren. Eine Lebensgeschichte, so spannend wie erschütternd, von einer unerschrockenen indischen Frau, ermordet 2001, die kennenzulernen sich in jedem Fall lohnt. 


Phoolan Devi
von: Claire Fauvel | Verlag: bahoe books