What’s in a Comic?

Comics im Unterricht

SUPERMAN MAMMUT Band 3 / © 1986 für die deutsche Erstausgabe, Egmont Ehapa Verlag / © Panini Verlag, mit freundlicher Genehmigung

von Daniel


Comics im Unterricht

Comics haben es noch immer nicht leicht als eine ernstzunehmende Literaturform anerkannt zu werden. Ganz anders als zum Beispiel in unserem Nachbarland Frankreich, wo der ehemalige Bildungsminister des Landes wie selbstverständlich auch Comicbuchautor ist. Hierzulande undenkbar.

Die Einführung des „Graphic Novel“ Begriffs hat es immerhin geschafft, Comics auch in den Buchhandel zu bringen und dort einen festen Platz zu bieten. Doch müssen Comicliebhaber:innen immer noch damit leben, als Nerds gesehen zu werden. Die immensen Erfolge der Marvel-Kinofilme sowie von „The Big Band Theory“ haben zwar für einen kräftigen Schub gesorgt aber an der Grundwahrnehmung nicht viel geändert. Kino- und Fernsehmenschen sind nicht zwangsläufig auch Comicmenschen.

Wie führt man also solch ein Medium, das leider auch bereits unter Jugendlichen als vorbelastet gilt, im Unterricht ein ohne selbst als verschrobene Lehrkraft dazustehen und folglich nicht ernstgenommen zu werden? Man mag versucht sein, gerade solche Titel tunlichst zu meiden, die vor allem mit Unterhaltung, wenig Tiefe und plumper Action in Verbindung gebracht werden: die Superheldencomics. Doch erst recht sollte das Klischee durch sich selbst gebrochen werden. Und welcher Superheld eignet sich wie kein anderer dafür?

mit freundlicher Genehmigung © 1986 für die deutsche Erstausgabe, Egmont Ehapa Verlag /
© Panini Verlag

Superman: unvollkommen

Superman war in meiner Jugend nie ein Held, dessen Abenteuer ich mochte. Schon in der Kindheit war ich vom gebrochenen dunklen Ritter im Fledermauskostüm weit mehr fasziniert als vom Strahlemann im roten Cape. Superman war mir zu perfekt. Er konnte alles, hatte keine Schwächen (nur in einem außerirdischen Gestein) und war als Clark Kent meines Erachtens wahnsinnig schlecht getarnt. Ich denke, dass mir bis hierhin viele, die sich noch nicht eingehend mit dieser Figur beschäftigt haben, zustimmen würden.
Und dennoch gab es ein Superman Abenteuer, das ich immer und immer wieder las: „Für den Mann, der alles hat!“. Diese Kurzgeschichte von Alan Moore war Teil eines Sammelbandes, den ich auf dem Flohmarkt erworben hatte. Ich hätte nicht sagen können, warum mich die Geschichte so faszinierte, bis ich im Erwachsenenalter auf einige wirklich großartige Superman Geschichten gestoßen bin wie „American Alien“ oder „Red Son“(im Deutschen „Genosse Superman“).

beide Cover © Panini Verlag

Und als ich in diesem Zuge den Sammelband von damals wieder hervorkramte, verstand ich, was in dem Comic steckte. Und wie die Unvollkommenheit des Lebens von einem vermeintlich vollkommenen Wesen erkannt wird.

Superheldencomics sind wie Parabeln auf unsere Gesellschaft. Wir erkennen uns in den Figuren wieder, wenn sie wie Bruce Wayne einen unüberwindbaren Verlustschmerz verarbeiten müssen, wenn sie wie Peter Parker lernen müssen Verantwortung zu übernehmen, wenn sie wie Clark Kent wie ein Ausländer in dieser Gesellschaft sind und möglichst normal und unauffällig sein möchten. Wir lernen von ihren Handlungen und durchleben beim Lesen wie bei den großen Dramen der Literatur und Filmwelt eine Katharsis, eine Reinwaschung der Seele.

mit freundlicher Genehmigung © 1986 für die deutsche Erstausgabe, Egmont Ehapa Verlag /
© Panini Verlag

Ein Mann, der alles hat

Was passiert also in diesem sogenannten One-Shot aus dem Superman Universum? Es ist leicht erzählt:

Superman hat Geburtstag. Seine Freunde Batman, Robin und Wonder Woman besuchen ihn in der Festung der Einsamkeit, wo er von einer außerirdischen Pflanze befallen in einem künstlichen Koma zu liegen scheint. Supermans Feind Mongul hat ihm das „Geschenk“ zukommen lassen. Durch diese Pflanze, der „Schwarzen Gnade“, befindet sich Superman nun in einer Gedankenwelt, in der ihm seine innigsten Wünsche erfüllt werden. Er ist ein Gefangener seiner eigenen Träume.
In Supermans Gedankengefängnis ist sein Heimatplanet nie explodiert. Er ist nie zur Erde geschickt worden. Wurde nie zum Mann aus Stahl. Er blieb Kal-El, gründete eine Familie und lebt zufrieden als Geologe auf Krypton.
Während die anderen Helden nun in der realen Welt gegen Mongul kämpfen, entwickeln sich die Dinge in Supermans Vorstellung auf seltsamen Bahnen: Sein Vater Jor-El verliert aufgrund der falschen Vorhersagen zum Ende Kryptons seinen Ruf als seriöser Wissenschaftler. Er schließt sich radikal-konservativen politischen Kräften an. Es kommt zu Aufständen auf Krypton. Kal-El erkennt, dass diese Welt nicht wirklich ist, dass auch sein Sohn nicht wirklich ist. Er kann sich aus der dunklen Welt der „Schwarzen Gnade“ befreien, und gemeinsam mit seinen Freunden besiegt er Mongul.

Wer ist also in dieser Geschichte der „Mann, der alles hat“? Er ist nicht Superman. Er ist nicht Clark Kent oder Kal-El. Er ist eine Imagination. Der augenscheinlich perfekte Superheld weiß, dass es eine Welt ohne Probleme, ohne Schmerz und ohne Leid nicht geben kann. Niemand kann alles haben. Und nur durch dieses Wissen kann sich Superman befreien.

Gesellschaft erschafft sich selbst

Das kleine Abenteuer hat so ziemlich alles, was zu einer Superheldenstory gehört. Einen galaktischen Gegner, ein Team, das freundschaftlich zusammenhält und eine übermenschliche Gefahr. Doch darunter ist diese Geschichte so viel mehr.

Was passiert mit einer Gesellschaft, die den Tod ihres Planeten vor Augen hatte? Nachdem diese schlimmste aller denkbaren Katastrophen – nämlich die Vernichtung allen Lebens – nicht eingetroffen ist, mag es naheliegen, dass sich die Gesellschaft dank dieser zweiten Chance zum Positiven verändert. Doch Jor-El steht hier stellvertretend für die negativen Entwicklungen der Menschen. Er lag falsch. Krypton lebt. Eigentlich ein Grund zur Freude. Doch in ihm wächst die Bitterkeit, denn er musste aus dem Wissenschaftsrat austreten. Seine Frau starb an einer Essstörung. Er sieht um sich herum eine verkommene Welt voller Drogen, Jugendkriminalität und Rassenunruhen, in der er selbst keine Bedeutung mehr hat. So schließt er sich einer extremistischen Bewegung an. Dort erfährt er Anerkennung und sieht in seiner Existenz einen Sinn. Dass er sich aber von seiner eigenen Familie entfernt, bemerkt er nicht.

mit freundlicher Genehmigung © 1986 für die deutsche Erstausgabe, Egmont Ehapa Verlag /
© Panini Verlag

In verschiedenen Abschnitten aus Supermans Gedankenwelt erleben wir, wie sich Jor-El von einem frustrierten alten Mann hin zum Führer dieser Extremisten entwickelt. Kal-El ist machtlos und muss mit ansehen was für verlorene und gefährliche Wege sein Vater einschlägt.

Hier beobachtet Alan Moore die Unzufriedenheit unserer Gesellschaft und wozu sie führt. Ein Wort, das aktuell oft in Diskussionen zu hören ist, ist die „Wohlstandsverwahrlosung“. Ich denke, dieses Wort trifft ziemlich genau, was dort in Supermans Vision vom heilen Krypton vor sich geht.

Wir Menschen suchen uns unsere Probleme. Gibt es keine, gibt es dennoch welche. Die Unzufriedenheit macht es möglich. Der Drang zum Geltungsbedürfnis und der Wunsch danach, wahrgenommen und bestätigt zu werden, bringt Menschen immer wieder in extreme Positionen. Das Gegeneinander scheint einfacher zu sein als das Miteinander. Wir sehen zur Zeit genau diese Entwicklungen im Erstarken der rechten Kräfte – national sowie auch international.

Akzeptanz des Unglücks

Bemerkenswert ist die Tatsache, dass Superman offenbar nicht imstande ist, sich eine perfekte Welt zu imaginieren. Und das, obwohl das Wesen dieser außerirdischen Pflanze darin liegt, ihn in einer Welt der Glückseeligkeit gefangen zu halten. Die Fehler, die Imperfektion, das Unglück webt Supermans Geist selbst in die Projektion mit ein. Die Erkenntnis, dass das Unglück und sogar die Katastrophe zum Dasein – zu seinem Sein – gehört, ist ein Teil von ihm. Deutlich wird dies in jenen Abschnitten der Geschichte, wenn die „Schwarze Gnade“ von jemand anderem Besitz ergreift: Während des Kampfes kurz von Batman und zum Schluss von Mongul. In Batmans Welt sind Bruce Waynes Eltern nie ermordet worden. Und Mongul regiert in seiner Vision über den Kosmos. Alan Moore beendet den Epilog mit den Worten „Er ist glücklich“. Bruce Wayne wäre diesem Gefängnis nie entkommen, hätten seine Freunde ihm die Pflanze nicht entrissen. Und Mongul erstarrt auf alle Ewigkeit in seinem „Glück“.

Superman hält uns die Dichotomie von Glück und Unglück vor Augen. Beides gehört zum Leben. Das Unglück sowie das Glück machen uns erst zu den Menschen, die wir sind. Verleugnen wir eine dieser Hälften, landen wir in einem Gefängnis des Stillstands.

Perfektion und Stillstand

Die Parabel auf unser Leben bedient sich auch einer interessanten Bildsprache. Sobald die Figuren von der „Schwarzen Gnade“ befallen werden, erstarren sie regungslos als wären sie in einem Koma. Sie sind Gefangene einer eigenen Traumwelt. Nicht mehr fähig zu handeln. Nicht mehr fähig zu interagieren. Nicht mehr fähig wahrzunehmen, was in der Wirklichkeit passiert. Perfektion bedeutet Stillstand. Reines, andauerndes Glück (und auch ihr Gegenteil) bedeutet Stillstand.

Gesellschaft entsteht aus verschiedenen Sichtweisen. Sie hält nie still. Sie ist niemals perfekt. Und erst dadurch geht sie immer weiter, entwickelt sich immer weiter. Der Weg ist das Ziel. Das Ziel ist das Leben – und unser Umgang damit.

Nun denn, what’s in a comic?

Ganz klar, das Leben. Und vor allem steckt es auch in Superhelden Comics. Sie sind nicht entkoppelt von uns, genauso wenig wie Filme oder Romane von uns entkoppelt sein können. Sie entstehen aus dem Leben und sie beeinflussen es.

Selbstverständlich hat mein Kindheits-Ich das alles nicht annähernd erfassen können. Es las eine faszinierende Superman Erzählung. Doch scheint schon damals etwas von dieser Geschichte ausgegangen zu sein, das recht ungewöhnlich war. Und unbewusst blicken wir schon als Kinder und Jugendliche durch die Geschichten in Comics auf unser Leben, auf die Gesellschaft. Geschichten bereiten uns vor. Sie holen uns ab. Sie lehren. Sie kommentieren. Was, wenn nicht ernstzunehmende Literatur kann dies alles vermögen?

Literature is in a comic.

Dieser Text wurde zuvor auf Daniels Hompage veröffentlicht

Daniel hat als Filialleiter in der Kastanienallee über zwei Jahre lang das Angebot dort kuratiert. In seinem Nicht-Comic-Leben ist er Lehrer für Kunst, Musik und Medien an einer Berliner Schule. Sein Herz schlägt vor allem für Comics aus dem DC-Universum, Geschichten mit sozialen Themen und für Sci-Fi Erzählungen.