Haus Nr. 8

Ein Interview mit Sascha Wüstefeld

von Daniel

Mitte Juni – also sehr sehr bald – geht der neue Berliner Kindercomicverlag KIBITZ an den Start und bereichert unsere Welt der bunten Bilder und Geschichten mit ganz frischem Lesestoff. Michael Groenewald und Sebastian Oehler – beide mit langer Erfahrung im Comicbusiness – haben KIBITZ 2019  gegründet und werden uns mit Produktionen aus eigenem Haus erfreuen.

Ein Lineup von fünf frischen Titeln erwartet uns zu Beginn. Mit dabei ist „Haus Nr. 8“ von Patrick Wirbeleit und Sascha Wüstefeld. Erste Leseproben und ein wundervoll gemachter Trailer lassen Tolles erahnen. Mit Sascha habe ich über seine Arbeit am Projekt gesprochen.

DS | Sascha, bevor wir uns dem Anfang des neuen Projektes widmen, möchte ich kurz einen Blick auf das Ende eines anderen zurückwerfen. Nämlich das vom „UPgrade“ von dir und Ulf S. Graupner. Man hat ja einiges über eure Beweggründe zum Abbruch durch die sozialen Netzwerke mitbekommen. Stichwort: mangelndes Interesse der deutschen Comic-Community. Hängt diese Erfahrung in irgendeiner Weise mit der Wahl von „Haus Nr. 8“ zusammen? Sind Kinder vielleicht das dankbarere Comicpublikum?

SW | Ach – das würde ich so generell nicht sagen. Auch würde ich bezüglich des UPgrades gern noch mal klarstellen, dass von all den Gründen, damit aufzuhören, die persönlichen Gründe bei weitem überwogen haben. Es war ja nicht so, dass wir aufgehört hätten, weil uns die Leser gefehlt haben.
Es ging eher um die offizielle Anerkennung von (Genre)Comics hierzulande und eine ganze Menge Dinge, die hinter den Kulissen schiefgegangen waren und für schlechte Stimmung gesorgt haben. Mir war es dadurch einfach nicht mehr möglich, mit dem gleichen Elan am UPgrade weiterzuarbeiten, wie zu Anfang. Ich für meinen Teil habe mich da insgesamt auch viel zu sehr aufgeraucht.

Insofern stellt die Arbeit am Haus Nummer 8 für mich in allererster Linie eine Rückbesinnung auf den Spaß am Comiczeichnen dar, ohne dass ich mich noch um tausend andere administrative Dinge kümmern muss. Kindercomics liegen mir wohl auch mehr als erwachsene Themen. Beim UPgrade hatte ich darüber hinaus vielleicht einfach auch zu große künstlerische Ambitionen. Und als armer, missverstandener – ja verfemter, geächteter Künstler bist du erst beleidigt und schmollst ein paar Monate, dann raffst Du Dich auf, trittst den alten Kram in die Tonne und machst was Neues.

DS | Ich bin auf „Haus Nr. 8“ das erste Mal gestoßen, als ich mir die knusprig frische Website vom Kibitz Verlag angeschaut habe. Das war vor ein paar Monaten, und es hat sich in der Zwischenzeit viel getan, und es ist viel Content hinzugekommen. Was aber weggefallen ist, ist der ursprüngliche Ankündigungsslogan zu eurem Comic. Ich kriege das nur noch  grob aus der Erinnerung sinngemäß »Tim wohnt seit ein paar Tagen im Haus Nr. 8. Ernst schon seit 100 Jahren.« So oder so ähnlich war das. Ich weiß noch dass ich dabei nicht schlecht gelacht habe. Hat sich vielleicht zwischenzeitlich inhaltlich etwas verschoben, so dass der Slogan nicht mehr zu finden ist? Laut Trailer ist Ernst ja immer noch am Start.

SW | Nee. Das habe ich gar nicht bemerkt. Da müsste ich mal Michael Groenewald fragen, weshalb der geändert wurde. Vielleicht, weil der Slogan zu viel verraten hat? Am Script hat sich aber nichts geändert. Ich verrate auch nicht, wer da schon über hundert Jahre drin lebt. Ernst ist es jedenfalls nicht.

DS | Mit Patrick Wirbeleit hast du wieder eine Zusammenarbeit mit einem Autoren, der zugleich auch zeichnen kann. Ist diese Kombination etwas, das das Comicmachen angenehmer bzw. einfacher macht? Wie sieht ein typischer Workflow bei euch aus?

SW | Oh. Damit haben wir’s uns einfach gemacht. Der „Workflow“ ist eigentlich nur der, dass Patrick mir das Script schickt, das ich dann als Storyboard umsetze, wir uns darüber kurz austauschen (wenn ich mich richtig erinnere, hatte er am Storyboard kaum etwas auszusetzen), und dann zeichne ich die Seiten, die ich dann sowohl an Patrick, als auch an Micha, fertig koloriert, in Zehner- oder Zwanzigerblöcken geschickt habe. Auch hier gab es nur sehr wenige Absprachen.
Patricks Script war sehr filmisch und funktionierte auf den Seiten, wenn man es einfach so umsetzt, astrein. Klar – sicher auch, weil er selbst Zeichner ist und sich die Szenen beim Schreiben visuell vorstellen kann. Ich habe es mir außerdem diesmal regelrecht verboten, zu überambitioniert zu werden, was sich dann auch in einem recht entspannten Stil – zumindest im Vergleich zum UPgrade – niederschlug.

DS | Beim Schauen des Trailers kam mir der Film „Pleasantville“ in den Sinn. Geht die Geschichte in diese Richtung? Zumal der Untertitel „Eine farblose Familie“ lautet. Andererseits liest man auch auf der Kibitz-Seite, dass es dabei um Zauberei gehen soll. Wie entstand das Grundkonzept? Habt ihr euch da in der Anfangsphase die Bälle zugeworfen?

SW | Ja – ein bisschen Pleasantville ist in Band eins sicher dabei. Die Story geht dann aber schlagartig in eine ganz, ganz andere Richtung. „Eine farblose Familie“ ist auch kein Untertitel, sondern der Titel des ersten Bandes. Die Grundgeschichte hat weniger etwas mit Farblosigkeit, sondern vielmehr mit Tim und seinem neuen Zuhause zu tun. Konzept und Geschichte sind ausschließlich Patricks Idee. Von mir stammt diesmal wirklich nur das Character- und World-Design, was ich sehr erfrischend fand. Schuster bleib bei deinem Leisten und so …

DS | Alte Häuser haben immer etwas faszinierendes. Insbesondere für Kinder. Ich glaub jeder Mensch hat da dieses eine Haus aus seiner Kindheit in Erinnerung, an dem man mit einem kleinen Schauder, voller Neugier oder auch mit Staunen vorbeigelaufen ist. Welches ist das Haus, an das du dich erinnerst? Und spielte es vielleicht eine Rolle in der Gestaltung vom Haus 8?

SW | Für das Haus Nummer 8 gab es eigentlich kein Vorbild. Ich habe einfach drauf los gezeichnet und dabei ist dann dieses Haus rausgekommen. Es war auch gleich der erste und letzte Entwurf. Da habe ich nicht sehr lange überlegen müssen. Das gilt übrigens auch für die Figuren. Weil der Entwurf des Hauses aber entstand, bevor ich das genaue Script hatte und bevor ich wusste, was genau da drin passieren soll, war es vielleicht am schwierigsten, die Räume innen nachher logisch schlüssig einzuteilen. Wenn Tim aus der Küche in sein Zimmer geht, muss der Weg auch von außen nachvollziehbar sein. Kurz: Man muss glauben können, dass sich all das in dem Haus abspielt, was man am Anfang sieht.
Aber – wen es interessiert: Das Haus von Tims Nachbar Ernst Grumback ist äußerlich meinem eigenen Haus nachempfunden.

DS | Bleiben wir beim Design. Du hast deinen ganz persönlichen, unverkennbar poppigen Stil in Strich und Farbgebung. Generell kann man ja sagen, dass der Kinderbuchmarkt in Deutschland sich eher an klassisch, ich sag mal, etwas biederen Stilen festklammert. War das jemals ein Thema? Glaubst du, dass Kindercomics da freier in der Gestaltung sind als Kinder(bilder)bücher?

SW | Auch das war tatsächlich nie ein Thema. Zumal ich ja mit den Sorgenfressern und dem kleinen ICE eine gewisse Erfahrung in Sachen Kinder-Design mitbringe. Da habe ich bei Kibitz grenzenloses Vertrauen genossen. Ich glaube sogar, dass Kindercomics eine gewisse Präzision und ein großes Einfühlungsvermögen in den Zeichnungen erfordern, die Comics für Erwachsene vielleicht nicht unbedingt benötigen. Erwachsene können Dinge visuell schneller erfassen als Kinder und schauen auch nicht so genau hin. Bei Kindern müssen die Zeichnungen in der Tat hieb- und stichfest sein. Kinderaugen entschuldigen keine Figuren, die mal so und dann wieder so aussehen oder „unleserlich“ hingeschlunzte Hintergründe. Da kämen sofort sehr, sehr unangenehme Fragen.

DS | Dann zum Schluss eine angenehme Frage: Wenn du ein Kinderbuch aus deiner eigenen Kindheit als Comic umsetzen dürftest, welches wäre das und warum?

SW | Ui! Hmmm … Mal überlegen … „Die Reise nach Sundevit“ von Benno Pludra! Da hieße der Hauptheld übrigens auch Tim. 🙂


Verwendung der Fotos und Illustrationen in diesem Beitrag mit freundlicher Genehmigung von Sascha Wüstefeld und dem KIBITZ Verlag